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Anfechtung des Entlastungsbeschlusses bei Porsche

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Wenn es sich um das Eingeständnis eines persönlichen Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers eines Aufsichtsratsmitgliedes handelt, ist ebenso eine schwerwiegende Pflichtverletzung festzustellen wie für den Fall einer solchermaßen „pointierten“ öffentlichen Meinungsäußerung im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts. Daraus ergibt sich die Nichtigkeit eines Entlastungsbeschlusses in der Hauptversammlung.

Mit dieser Entscheidung hat das Oberlandesgericht Stuttgart die Entlastung des Porsche-Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008/ 2009 für nichtig erklärt. Die Klägerin ist Aktionärin der Porsche Automobil Holding SE. Sie hat die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses auf eine Vielzahl unterschiedlicher Gründe gestützt. Sie behauptet unter anderem Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Aufbau der Beteiligung der Gesellschaft an der Volkswagen AG und den dazu abgeschlossenen Optionsgeschäften auf VW-Aktien sowie bei der Vergütung und Abfindung von Vorstandsmitgliedern. Außerdem rügt sie, dass Fragen der Aktionäre in der Hauptversammlung am 29.01.2010 unzureichend beantwortet worden sind. Das Landgericht Stuttgart hat die Klage abgewiesen. Es ist Berufung vor dem Oberlandesgericht Stuttgart eingelegt worden.

In seiner Urteilsbegründung führt das Oberlandesgericht aus, dass die Entscheidung des Landgerichts zwar nicht zu beanstanden, wenn man den Sachverhalt zugrunde legt, der in der ersten Instanz zu beurteilen war. Angesichts im Berufungsverfahren ergänzend vorgetragenen Sachverhalts, der zwischen den Parteien unstreitig ist, war jetzt aber anders zu entscheiden.

Weder der Aufbau der Beteiligung an der Volkswagen AG noch die Vergütung des Vorstands sind unmittelbar Ausgangspunkt der Entscheidung , sondern Äußerungen des Mitglieds des Aufsichtsrats der Porsche Automobil Holding SE, Hon-Prof. Dr. techn. h.c. Ferdinand K. Piëch, am 11.05.2009 in einem Gespräch mit Journalisten am Rande einer Veranstaltung auf Sardinien. Dort hatte er nach dem im Berufungsverfahren zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhalt unter anderem sinngemäß erklärt, er habe sich keine Klarheit über die Risiken der Optionsgeschäfte von Porsche verschaffen können, und er wisse nicht, wie hoch die Risiken seien. Nimmt man diese Äußerungen beim Wort, hatte Dr. Piëch damit eine schwerwiegende Pflichtverletzung belegt, denn zu seinen Kardinalpflichten als Mitglied des Aufsichtsrats gehörte die Erfassung und Beurteilung bedeutsamer Geschäfte der Porsche Automobil Holding SE. Daraus folgte im Entlastungszeitraum die Pflicht zur eigenständigen Abschätzung der Risiken der Optionsgeschäfte. Treffen Dr. Piëchs Äußerungen inhaltlich zu, hätte er den Geschäften nicht zustimmen dürfen, sondern sich um weitere Informationen bemühen und – wenn ihm diese ebenfalls keine Risikoabschätzung ermöglichten – gegen die Optionsgeschäfte einschreiten müssen.

Das Oberlandesgericht verkennt nicht, dass die Äußerungen im zeitlichen Kontext des Frühjahrs 2009 nicht nur als Eingeständnis eines persönlichen Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers von Dr. Piëch, sondern auch als „kritisch-pointierte Meinungsäußerung“ im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts interpretiert werden können. Versteht man die Äußerungen in diesem Sinne, kommt ihnen aus der Sicht eines verständigen Empfängers die Bedeutung zu, die Risiken der Optionsgeschäfte seien – wenn sie noch nicht einmal von einem erfahrenen Aufsichtsratsmitglied abgeschätzt werden können – für niemanden abschätzbar, mithin unkalkulierbar. Einer solchen Aussage wurde angesichts ihrer Herkunft und der umfassenden Medienberichterstattung erwartungsgemäß in der Öffentlichkeit eine andere Bedeutung beigemessen als den Spekulationen, die von Dritten zuvor über Risiken der Optionsgeschäfte veröffentlicht worden waren. Dahinstehen kann, ob der Porsche Automobil Holding SE dadurch ein konkreter materieller Schaden entstanden ist; jedenfalls wurde ihre Kreditwürdigkeit gefährdet. Auf ein Recht zur öffentlichen Meinungsäußerung kann sich Dr. Piëch demgegenüber nicht berufen.

Zwar hindert auch eine schwerwiegende Pflichtverletzung die Entlastungserteilung durch die Hauptversammlung nur, wenn sie zudem eindeutig ist. Die alternative Interpretationsfähigkeit der Äußerungen Dr. Piëchs steht in diesem Fall der Feststellung einer eindeutigen Pflichtverletzung aber nicht entgegen. Wenn es sich um das Eingeständnis eines persönlichen Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers handelte, ist ebenso eine schwerwiegende Pflichtverletzung festzustellen wie für den Fall einer solchermaßen „pointierten“ öffentlichen Meinungsäußerung im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts.

Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang die Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses nur deshalb verneint, weil die konkreten Äußerungen Dr. Piëchs einem verständigen Durchschnittsaktionär in der Hauptversammlung nicht erkennbar gewesen seien. Dies ist auf der Grundlage des vom Landgericht zu beurteilenden Sachverhalts nicht zu beanstanden. Im Berufungsverfahren wurde der Parteivortrag indes dahin ergänzt, dass die hier interessierenden Äußerungen den Hauptversammlungsteilnehmern durch Redebeiträge von Aktionären, in denen sie – teils unter ausdrücklichem Verweis auf Presseartikel – zitiert wurden, vor Augen geführt worden waren. Dies genügt zur Begründung der nötigen Erkennbarkeit jedenfalls dann, wenn es sich um tatsächliche Umstände, die aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsaktionärs nicht umstritten sind, und nicht lediglich um Spekulationen oder Mutmaßungen ins Blaue hinein handelt.

Obwohl danach nur in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds eine die Entlastungserteilung hindernde Pflichtverletzung festzustellen ist, war der alle Aufsichtsratsmitglieder entlastende Beschluss insgesamt für nichtig zu erklären. Nicht auszuschließen ist, dass im Fall einer – in der Hauptversammlung ausdrücklich beantragten, aber nicht erfolgten – Einzelabstimmung über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder anders abgestimmt worden wäre.

Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 29. Februar 2012 – 20 U 3/11


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